Cyberattacke

Attacken werden mit blank gezogener Waffe geritten. Wohin will Frau von der Leyen reiten, wenn sie von C. spricht? Und worauf? Oder hat sie als Medizinerin eher die medizinische Verwendung von Attacke im Sinn, die sich in der Husten- oder Herzattacke äußert? Wohl nicht. Wahrscheinlich ist C. eine unbeholfene Lehnübersetzung des englischen Ausdrucks cyber attack, also ein Angriff mit Computern auf Computer. Und damit ein Beispiel für die so beliebten Wortbildungen mit dem Erstglied Cyber-. Denen haftet jedoch vor allem eine Signalwirkung an: Achtung, jetzt kommt heiße Luft! Siehe auch: cyber, cyber, cyber

Systemfehler

Wer einen Fehler macht, ist in der Regel dafür verantwortlich. Das kann Folgen haben und ist unangenehm. Also schiebt man diese Verantwortung gern auf andere. Am besten ist es, wenn anschließend niemand Schuld war, dann gibt es keinen Ärger. Vor allem aber muss dann auch nichts verändert werden, alles kann so bleiben, wie es war. Da bietet sich das unpersönliche System an. Wenn ein System schuld ist, ist die Verantwortung so abstrakt, dass jeder Schuld sein kann oder niemand. Das macht den S. so praktisch. Aber er ist natürlich eine Lüge: Denn irgendjemand hat noch immer einen Fehler gemacht. Systeme entstehen nicht von selbst, jemand hat sie entwickelt, programmiert, gestartet, kontrolliert. Glücklicherweise lassen sich die Schuldigen leicht erkennen. Es sind die, die am lautesten die Schuld auf das System schieben.

Siehe auch → Fehler, handwerkliche und → Einzelfälle, bedauerliche.

Videoüberwachung, konventionelle

Umstrittenes weniger umstritten zu machen, gelingt besonders dann, wenn noch umstrittenere Dinge eingeführt werden. So wurde am → Sicherheitsbahnhof Berlin-Südkreuz nun neben der Videoüberwachung auch ein Pilotprojekt zur Gesichtserkennung installiert. Das lässt dank seiner erschreckenden Möglichkeiten die bisherige Videoüberwachung weniger bedrohlich erscheinen, und so ist plötzlich die Rede von der konventionellen V. Aber ist sie das wirklich? Nein, denn konventionell bedeutet, dass sich alle auf eine Konvention – eine Regel des Umgangs – geeinigt haben. Das trifft aber hier nicht zu, denn V. wird von Datenschützern nach wie vor kritisiert und abgelehnt. Letztlich wird sie nur deshalb als konventionell bezeichnet, weil sich viele Menschen widerwillig an sie gewöhnt haben. Und weil es nun eben mit der automatischen Identifizierung von Personen noch eine Steigerung gibt, die Datenschützer sogar für illegal halten. Dass Letzteres mit dem Schutz der Privatsphäre noch weniger zu vereinbaren ist, heißt aber nicht, dass die V. nicht auch die Privatsphäre verletzt. Das Schlimme ist noch immer schlimm, auch wenn es längst Schlimmeres gibt.

Siehe auch → Videoaufklärung und → Videoschutz.

Videoaufklärung

Ein Berliner Verein von CDU-Politikern propagiert die „Videoaufklärung“

Hoffnung wird hier zum bereits eingetretenen Erfolg hochgegaukelt. Denn gemeint ist die Videoüberwachung. Also das Aufzeichnen aller Menschen im Umfeld einer Videokamera, ohne dass sich diese Menschen eines Verbrechens verdächtig gemacht haben – in der Hoffnung, dass wenn ein Verbrechen geschieht, dieses mithilfe der Videobilder schneller oder leichter aufgeklärt werden kann. Auch wenn es einzelne Beispiele gibt, dass mithilfe von Videoüberwachungsbildern Täter gefunden wurden, existiert dafür keine Garantie. Jede Videoüberwachung zur V. zu erklären, ist ein unlauterer sprachlicher Trick. Denn damit verschleiert die V. die vorherrschende Eigenschaft dieser Tätigkeit. Aus der negativ empfundenen Überwachung wird die positiv klingende Aufklärung. Interessanterweise gehört die Videoüberwachung damit genau wie die Vorratsdatenspeicherung zu den Überwachungsmaßnahmen, für die bewusst immer wieder neue Begriffe gesucht werden. Was nahelegt, dass dahinter der Vorsatz steckt, den Abbau von Freiheiten positiv erscheinen zu lassen. Im Übrigen will die CDU, die das Konzept der V. erfunden hat, damit ziemlich viel Freiheit beschneiden. Denn der Gesetzentwurf, der mehr V. fordert, sieht vor, dass die Polizei neben den Bildern auch Ton aufzeichnen darf. Und damit also die Gespräche auf der Straße mitschneiden. Siehe Videotechnik, Videoschutz.

Gefahr, drohende

Die bayerische CSU hat einen neuen Rechtsbegriff in ein Gesetz geschrieben, die → drohende G. Der Bayerische Landtag hat gerade ein „Gesetz zur effektiveren Überwachung gefährlicher Personen“ beschlossen. Das erlaubt der Polizei künftig, Wohnungen zu durchsuchen oder Menschen ins Gefängnis zu stecken, wenn die Polizei der Meinung ist, dass von diesen Menschen „in absehbarer Zeit“ Gewalttaten zu erwarten seien – von ihnen also irgendwann irgendeine G. droht. Das klingt gefährlich und so, als würde diese G. gleich über alle hereinbrechen. Aber dieser Eindruck ist falsch.

Rechtlich ist die → drohende G. viel ungefährlicher als die sogenannte konkrete G., die bislang in den entsprechenden Polizeigesetzen steht. Denn konkret bedeutet nach den Buchstaben des Gesetzes, dass es wirklich Hinweise darauf geben muss, dass gleich etwas passiert. Beispielsweise weil jemand in einem Ausbildungslager von Terroristen war und nun in Briefen an seine Freunde ankündigt, dass er am kommenden Donnerstag etwas in die Luft sprengen wird.

Eine → drohende G. ist sehr viel weniger bedrohlich. Das legt schon der alltägliche Umgang mit dem Begriff nahe. Den Menschen drohen mannigfache Gefahren, sobald sie aus dem Haus gehen. Und sogar im eigenen Bett droht ihnen noch eine ganze Menge, sogar der Tod. Was jedoch nichts darüber aussagt, ob dieser einen wirklich demnächst ereilen wird. Ähnlich ist es mit dem neuen bayerischen Polizeigesetz. Dem genügt es, wenn die “konkrete Wahrscheinlichkeit begründet ist, wonach in absehbarer Zeit Gewalttaten von erheblicher Intensität oder Auswirkung zu erwarten sind”. Somit wird aus der → konkreten G. nur noch eine „konkrete Wahrscheinlichkeit“. Was das ist? Das sagt das Gesetz nicht. Auch ob die Wahrscheinlichkeit, dass ein Mensch gefährlich wird, 5 Prozent oder 95 Prozent betragen muss, ist nicht erwähnt. Womit das wohl nur der sprachliche Versuch ist, den schwammigen Begriff Wahrscheinlichkeit konkreter erscheinen zu lassen.

Doch damit entfernt sich die staatliche Gewalt immer weiter von Tätern und Taten und bewegt sich immer tiefer hinein in den Raum der Möglichkeiten und Wahrscheinlichkeiten. Wer einmal Lotto oder Roulette gespielt hat weiß, wie tückisch dieser Raum ist und wie schnell man mit einer Beurteilung aufgrund von Annahmen daneben liegen kann. Jemanden ins Gefängnis zu bringen, nur weil man glaubt, dass er irgendwann etwas vorhaben könnte, ist staatliche Willkür. Noch dazu weil diese im Gesetz verniedlichend als Unterbindungsgewahrsam bezeichnete Haft praktisch unbegrenzt verlängert werden darf – ohne dass es zu einem ordentlichen Gerichtsverfahren kommt. Allein schon die verharmlosenden Wortwahl zeigt, dass hier willkürliche Staatsgewalt verschleiert werden soll. Nebenbei: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hielt den deutschen Unterbindungsgewahrsam 2011 unter bestimmten Bedingungen für eine Verletzung der Menschenrechte und forderte, der Staat müsse schon eine konkrete und spezifische Gefahr vorweisen können, um seine Bürger einsperren zu dürfen.

Der CSU-Politiker Florian Hermann sagte bei der Verabschiedung des neuen Gesetzes im Landtag: „Vorsicht ist besser als Nachsicht.“

Der Jurist Martin Heidebach von der Ludwigs-Maximilia-Universität München findet jedoch, dass das bayerische Gesetz gegen die Verfassung verstößt. Er schreibt, diese „Änderung der polizeilichen Generalklausel“ werde „zu einer massiven Verschiebung der Tektonik von Freiheit und Sicherheit führen – zulasten der Freiheit.“

„Das alles ist eigentlich unvorstellbar; bei diesem Gesetz ‘zur Überwachung gefährlicher Personen‘ denkt man an Guantanamo, Erdogan oder die Entrechtsstaatlichung in Polen. (…) Die CSU sollte sich schämen“, schreibt der Jurist und Journalist Heribert Prantl. Das Gesetz sei „eine Schande für einen Rechtsstaat“. Genau das gleiche schreibt Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Sie war selbst Justizministerin. Zwei Mal.

Siehe auch → Gefährder und → Gefährder, potenzieller.