Verantwortung (übernehmen)

Immer wenn etwas schief gegangen ist – ein Flughafen oder so –, fordert jemand, nun müsse aber endlich einer die V. dafür übernehmen. Was gleich auf mehrere Arten absurd ist. Heißt es doch, dass sich bislang offenbar niemand so richtig für den Gegenstand verantwortlich fühlte. Beziehungsweise hieße es das, wenn es denn bei diesem Ausdruck wirklich um V. ginge. Geht es aber nicht. Es ist die verbrämte Forderung, irgendjemand möge doch bitte schleunigst von irgendetwas zurücktreten, damit so schnell wie möglich „zur Tagesordnung“ übergegangen werden kann. Was lustigerweise unweigerlich dazu führt, dass der Betreffende eben keine V. mehr hat und somit auch gar keine übernehmen kann. Aber Logik und Politiksprech haben ja eher selten etwas miteinander zu tun.

Mit Dank an Friedrich A.

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17 Kommentare

  1. “Verantwortung übernehmen” bedeutet im Politsprech auch, daß man gerne mitmischen möchte bei imperialen (gern auch kriegerischen) Abenteuern außerhalb des eigenen Territoriums. “Deutschland ist bereit, in Afghanistan und Somalia VERANTWORTUNG zu ÜBERNEHMEN”.

  2. @blub und @Sukhan K. Strathus

    Hier handelt es sich um bedeutungsähnliche, d.h. polyseme Ausdrücke.

    1.) die Veranwortung übernehmen:
    sich die Verantwortung für ein vergangenes Ereignis zuschreiben

    –> immer mit bestimmtem Artikel, Vergangenheitsbezug

    2.) Verantwortung übernehmen:
    aktiv werden, so dass künftige Ereignisse einem selbst zugerechnet werden können

    –> artikellos, Zukunftsbezug

    Bei 1.) ist es zunächst einmal positiv, wenn sich ein Politiker die Verantwortung für ein gescheitertes Projekt zuschreibt. Damit sagt er “Ich war’s” und nimmt andere aus der Schusslinie, etwa weisungsgebundene Mitarbeiter oder Auftragnehmer. Wie er dieser Verantwortung dann gerecht wird, kann offen bleiben: den Karren selbst wieder aus dem Dreck ziehen, zurücktreten, Entlassungen aussprechen usw. Als Politiker muss er damit rechnen, dass das Scheitern, das er eingesteht, zum Wahlkampfthema gemacht wird und gegen ihn verwendet werden kann. Ich sehe hier keinen notwendigen Zusammenhang mit einem Rücktritt. Der darf zwar gefordert werden – öffentlich von der Opposition, hinter verschlossenen Türen von den eigenen Leuten – aber zwingend ist er nicht mit einer Verantwortungsübernahme verbunden. Nur der politische Gegner stellt da gerne einen Automatismus her. Die eigenen Leute überlegen sich zweimal, ob sie die Gefahr eingehen wollen, auch ihre Macht zu verlieren. Mancher ist nur auf Druck seiner Partei nicht zurückgetreten, obwohl er gerne gewollt hätte.

    Zu 2.) Das ist im Unterschied zu 1.) ein echter Euphemismus für Macht erobern – gerne in der Politik und in Unternehmen oder, wie bereits festgestellt, für Einmischung in fremde Angelegenheiten bis hin zur präventiven Kriegsführung.

    Grüße,
    Jürgen

  3. Noch eine Ergänzung: Wenn die Opposition fordert, der Politiker W. solle die Verantwortung übernehmen, dann in der Regel mit dem Zusatz “und seinen Rücktritt erklären”. Das zeigt zwar die enge Kopplung beider Handlungen, aber eben noch keine Identität. Im Grunde heißt es, W. solle das Scheitern auf die eigene Kappe nehmen und niemand anderen dafür verantwortlich machen – schon gar nicht irgendwelche äußeren Umstände. Es ist das Eingeständnis des Versagens – was die Opposition schon an sich freuen müsste. Es sei denn, sie möchte gar nicht an die Macht.

  4. Die hier angesprochene Art “Verantwortung zu übernehmen”, ist mir zuerst in den 90er Jahren in Fernseh-Interviews mit dem Fußballspieler und -trainer Lothar Matthäus aufgefallen. Es wäre interessant, ob die hier besprochene Verwendung des Ausdrucks zuerst im Profisport oder in der Politik aufgetreten ist.

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