Ankerzentrum

Erneute Worterfindung der Großen Koalition, um Abschiebelager besser klingen zu lassen. Sie lässt an Verankerung und somit an Integration denken, obwohl das Gegenteil gemeint ist. Laut Koalitionsvertrag ist das A. ein Akronym aus den Begriffen „Ankunft, Entscheidung, kommunale Verteilung bzw. Rückführung (AnKER)“. Bislang wurde diese Idee der Union bereits unter folgenden Namen diskutiert: → Entscheidungszentrum, → Rückführungszentrum, → spezielles Aufenthaltszentrum, → Willkommenszentrum, → Bundesausreisezentrum. Der Plan blieb dabei immer gleich. Flüchtlinge werden direkt nach dem Übertreten der Grenze in geschlossene und bewachte Lager gebracht und bleiben dort 18 Monate lang, bis sie entweder Asyl bekommen, oder in ein anderes Land abgeschoben werden. Allein die hohe Zahl an versteckenden und beschönigenden Namen dafür zeigt, wie problematisch das Konzept der Abschiebegefängnisse ist. Selbst Polizisten haben Bedenken, dass die Idee gegen die Verfassung verstößt. Jörg Radek, Chef der Gewerkschaft der Polizei (GdP), sagte dem stern: „Wir lehnen diese Ankerzentren ab.“ Die Bundespolizei sei dafür nicht zuständig. Die Unterbringung, Verpflegung und mögliche Bewachung von Asylsuchenden seien keine Aufgaben des Bundes und damit auch nicht der Bundespolizei. „Wir haben grundsätzliche Bedenken, wir haben verfassungsrechtliche Bedenken.“ Der SWR zitiert Radek mit der Befürchtung, in solchen Lagern würden Schutzsuchende kaserniert und von der Bevölkerung isoliert. Das sei schon gesellschaftspolitisch falsch. Außerdem steige das Aggressionspotential in solchen Zentren.

Siehe auch → Schutz, subsidiärer.

Klartext

Der K. wird immer dann versprochen, wenn ein Politiker oder eine Politikerin den Eindruck erwecken will, besonders ehrlich zu sein. Damit ist die Ankündigung, nun komme aber K. jedoch ein Armutszeugnis, beziehungsweise eine Floskel. Bedeutet es doch, dass offene und ehrliche Aussagen in der politischen Sprache nicht die Norm sind. Auch in seinem eigentlichen Wortsinn zeigt sich dieser Widerspruch. In der Kryptographie bezeichnet der K. den entschlüsselten, also den für jeden lesbaren Teil einer Botschaft und meint den Gegensatz zum verschlüsselten, eben nicht verständlichen Teil. In der Umgangssprache ist das ähnlich, dort ist mit K. eine leicht verständliche Botschaft gemeint. Das aber würde bedeuten, dass Politik eben nicht verständlich ist, dass sie sich dem normalen Zuhörer nicht erschließt. Denn wenn politische Botschaften eindeutig und allgemein verständlich wären, bräuchte es die Ankündigung nicht, das Kommende sei nun wirklich mal K.

Siehe auch: → sich bekennen.

Gedankenaustausch mit Hoffnungsträgern: Der Neusprechfunk 12

Ihr werdet wahrscheinlich aus den Schuhen kippen, wenn wir jetzt schon wieder einen Neusprechfunk raushauen, kaum dass der letzte erschienen ist. Aber es sind sprachlich und politisch bewegte Zeiten, da bekennen wir uns zum Podcasten!

Regelmäßige Hörer leiden sicher darunter: Wir haben zu wenig Modethemen! Das ändern wir mit Mahas Hilfe erstmals und widmen uns im Sinne der Popularität unseres Podcasts dem neuesten Kleidungstrend Flanking:

flanking

Wir müssen aber vorwarnen: Wenn man den Podcast gehört hat, fallen einem die modischen Opfer unweigerlich überall auf, auch bei Temperaturen unter Null.

Nie aus der Mode kommt ja bekanntlich das Militär. Wir werfen daher einen längeren Blick auf die jährlich erscheinende Unterrichtung durch den Wehrbeauftragten an den Bundestag (pdf). Hans-Peter Bartels beschreibt darin den Zustand unserer Parlamentsarmee mit all ihren Lücken, vor allem → Fähigkeitslücken, erkannte und unerkannte. Allzu unerkannt dürfte die Malaise allerdings gar nicht sein, schließlich hatten die letzten drei Verteidigungsminister allesamt schon damit zu kämpfen. Bartels berichtet gar von einem anhaltenden Rationalisierungsdruck seit 1979.

Im Neusprechfunk 12 (mp3) sprechen wir nebenbei auch über den Terrorsoldaten Franco A. und das Haltungsproblem der Bundeswehr, denn schließlich waren die neuerlichen Lücken nicht das einzige Problem der zuständigen Ministerin Ursula von der Leyen. Auf die Lücken bei den soldatischen Notrationen und den fahruntauglichen U-Booten wollen wir aber explizit hinweisen.

Die konservative Ministerin ist nicht der einzige Regierungsvertreter, der sich Gedanken um die militärische Kampfkraft macht. Der zum Zeitpunkt des Podcastens noch amtierende sozialdemokratische Außenminister Sigmar Gabriel schlug in einem FAZ-Gastbeitrag als eine europäische Strategie vor, es den „Flexitariern“ nachzumachen.

flexitarier

An dem Vergleich hatten wir gedanklich etwas zu kauen und konnten ihn auch nur schwer verdauen.

Kaum zu verdauen ist auch die enorme Komplexität der kirchlichen Finanzen, die Reinhard Marx beschreibt. Wir erforschen sie an aktuellen Betrugsbeispielen der katholischen Kirche:

kirche und finanzen

Nur falls wir es im Podcast nicht oft genug erwähnen: Es geht bei dem Betrug um 160 Millionen Euro.

Wir nehmen außerdem ehemalige Hoffnungsträger in den Blick, die im Jahr 1989 ein Titelblatt der Berliner Zeitung dominierten:

berliner zeitung oktober 1989

Der eine ist Egon Krenz, der das Wort Wende gebraucht. Er muss in seiner übrigens vollständig auf mehreren Seiten abgedruckten Rede einräumen: „Mehr als Hunderttausend“ Menschen seien aus der DDR weggegangen. Wir sprechen über diese Rede, seine Aufforderung zum Gedankenaustausch und seinen gescheiterten Versuch, die Macht der SED zu retten.

berliner zeitung krenz

Krenz hält die Rede anlässlich des Sturzes von Erich Honecker im Oktober 1989. In der Berliner Zeitung wird diese Entmachtung so dargestellt, als hätte sich der Staatschef Honecker selbst von seinen Ämtern entbinden lassen:

honecker entbunden

Auf derselben Titelseite finden sich auch die Glückwünsche eines anderen Hoffnungsträgers, nämlich des sowjetischen Regierungschefs Michail Sergejewitsch Gorbatschow, in den wegen der Perestroika und besonders seit seinem Besuch als Ehrengast des 40. Jahrestags der DDR am 7. Oktober 1989 große Hoffnungen gesetzt worden waren.

gorbatschow berliner zeitung

Wir sprechen länger als erwartet über die Zeit vor der berühmten Schabowski-Pressekonferenz, in der Krenz und seine Leute noch vergeblich versuchten, ihre Macht zu retten.

Neben der nun wieder online erreichbaren Wortwarte und einem kleinen, aber spannenden Quiz sprachen wir über:

Hier ist der Neusprechfunk 12 als mp3. Alternativ gibt es wie immer auch eine ogg-Version des Neusprechfunk 12.

Und natürlich legen wir unsere Weinwahl offen:

chardonnay gebruar

Play

Entnahme, letale

Normalerweise ist das Substantiv der semantische (und formale) Kern einer Substantivgruppe (sie heißt deshalb auch so). Im Neusprech ist das manchmal anders. Wie bei der E. Das Substantiv enthält hier keinen Hinweis auf den Inhalt. Die eigentliche Bedeutung steckt im Adjektiv. Es geht um eine offensichtlich finale E., nämlich um das Töten von Zuwanderern, genauer von Wölfen. Die waren in Deutschland ausgestorben, sind jetzt jedoch wieder in Brandenburg und inzwischen sogar in Niedersachsen heimisch geworden. Ihre Zahl ist so gering, dass die Art immer noch als bedroht gelten muss. Doch spätestens seit Rotkäppchen gilt der Wolf hierzulande als → Gefährder, den es zu bekämpfen gilt, auch wenn er höchstens für einige Schafe eine Bedrohung darstellt. Und so wird die E. als eine „Gefahrenabwehrmaßnahme in Einklang mit dem Artenschutz“ verbrämt, wie die Süddeutsche Zeitung den Niedersächsischen Umweltminister zitiert. Der nach Beamtendeutsch klingende Ausdruck E. soll das Ansinnen rechtfertigen und es so klingen lassen, als gebe es gute Gründe dafür und nicht nur irrationale Ängste. Dem Ganzen wurde dann auch noch eine spachliche Beruhigungspille beigegeben: Geschossen werde natürlich nur, insofern es sich um einen „Problemwolf“ handele.

Siehe auch → Problembesucher.

Fähigkeitslücke (III)

Bislang nutzte die Bundeswehr die F. vor allem um auszudrücken, dass sie gern ein paar neue Waffen hätte. Im Sinne von: Ach, wenn wir doch die Fähigkeit besäßen, unbemannte Luftfahrzeuge mit Raketen zu bewaffnen. Oder: Wenn wir doch nur mehr gepanzerte Fahrzeuge bekämen, dann könnten wir den Krieg hier schnell gewinnen. Zusätzliche Fähigkeiten also. Doch werden die Lücken offenbar größer. Denn inzwischen scheint die F. ein genereller Ausdruck für Mangel zu sein und auch Dinge zu betreffen, die die Bundeswehr schon einmal gekonnt hat. Im Sinne von: Ham wa nich mehr, is alle. Notrationen? Verzeihung, die sind uns ausgegangen. Winterjacken? Gerade knapp. Panzer? Veraltet. U-Boote? Kaputt. Für das Verteidigungsministerium sind das alles nur F.-en. Dabei sind es keine Lücken, das ist Mangelwirtschaft und der verzweifelte Versuch, sie sprachlich zu tarnen. Selbst das Bemühen, die offensichtliche Not zu lindern, wird im Bundeswehrsprech vernebelnd formuliert. Etwa weil allen klar ist, dass es sowieso nicht gelingen wird? Hier ein Beispiel aus dem Bericht des Wehrbeauftragten 2016: „Die erkannten F.-en beim Gehörschutz müssen nun zügig aufgegriffen werden, um die Beschaffung einleiten zu können.“

Siehe auch: → Fähigkeitslücke I, → Fähigkeitslücke II und → dynamisches Verfügbarkeitsmanagement.