Schleierfahndung

Ein Schleier dient dazu, etwas zu verbergen – zu verschleiern eben, vor allem ein Gesicht oder einen anderen Körperteil. Das Wort ist in vielen germanischen Sprachen zu Hause und geht möglicherweise auf einen orientalischen Ausdruck zurück. Die S. hat mit einem Schleier erst einmal nichts zu tun. Die damit bezeichneten Gesetze erlauben es Polizisten der Bundespolizei und Polizisten in einigen Bundesländern, jeden Menschen ohne Verdacht und ohne Anlass anzuhalten und seine Identität festzustellen. Das klingt solange nicht schlimm, bis man sich anschaut, was sie dazu alles dürfen: Sie dürfen nach dem Ausweis fragen, aber sie dürfen die Person auch festhalten und gar in Gewahrsam nehmen, sie dürfen Fingerabdrücke abnehmen und nach besonderen Merkmalen suchen und sie dürfen den Betroffenen oder die Betroffene vollständig durchsuchen und alles, was dabei gefunden wird, gegen ihn oder sie verwenden – selbstverständlich gegen den Willen des Schleierverdächtigen und auch mit Zwang, also mit Gewalt. Wie gesagt, alles ohne Anlass, es genügt ein „Verdachtsschleier“ – was immer das sein soll. Begründung: Das sei unerlässlich, um „international operierende Verbrecherbanden“ bekämpfen zu können, schließlich gebe es ja keine Grenzkontrollen mehr. Drei Landesverfassungsgerichte haben sich schon vor Jahren mit der S. beschäftigt. Selbst das Bayerische Gericht forderte Einschränkungen bei dieser Art der Freiheitsberaubung. Geändert hat sich nichts, die S. ist längst die Regel. Schleierhaft ist auch, warum dabei von Fahndung die Rede ist, wo doch gar nicht gefahndet wird. Schließlich gibt es ganz im Gegensatz zur → Rasterfahndung keinen Verdacht und keinen Sachverhalt, der aufgeklärt werden soll. Es werden keine Taten verfolgt, sie sollen – wie bei allen Überwachungsgesetzen neueren Datums – verhindert werden, bevor sie geschehen. Das ist eine Suche auf gut Glück, bei der Menschen gerne allein deswegen schikaniert werden, weil sie fremd aussehen und bei der jeder zum Verdächtigen wird. Der Ausdruck S. lässt dabei offen, ob hier Bösewichte entschleiert, oder ob umstrittene Überwachungen verschleiert werden sollen. Die Fakten sprechen für das Letztere. Denn die S. hat weder etwas mit Fahndung noch mit Schleiern zu tun und vernebelt, dass hier Menschen grundlos durchsucht und ihrer Freiheit beraubt werden.

Schuldenberg

In der Wohlstandsgesellschaft wird gern mal mehr produziert, als die Leute fressen können, die Folge sind Fleischberge, Butterberge und Müllberge. Außer beim Müll, der sich tatsächlich zu Bergen türmt, handelt es sich dabei um Metaphern, denn höchstens Joseph Beuys hätte Fleisch oder Butter zu einem Berg gestapelt. Bei einem weiteren Berg unserer reichen Gesellschaft, dem Sch., handelt es sich allerdings um eine Art Metaphernbruch. Denn Schulden, die ja ein Mangel sind, lassen sich kaum zu Gebirgen formen. Wenn es denn ein Sprachbild sein muss, dann eher das des Loches – wie in Haushaltsloch eben. Wenn es von solchen Löchern mehr gibt, könnte man vielleicht von Schulden-Käse sprechen, schwerlich jedoch von einem Berg. Geradezu komisch wirkt es, wenn der Berg dann auch noch Einnahmen verschlingt, wie bei Andrea Nahles: „Die Einnahmen nehmen zu, werden aber aufgezehrt, weil der Schuldenberg wächst.“ Eindeutig sprachlicher Käse. Von ganz normalen Schulden zu sprechen, scheint niemanden mehr zu erschrecken, weil Politiker viel zu viele davon verursachen. Da muss offensichtlich schon mit Bergen hantiert werden, um vor der Gefahr zu warnen. Was aber noch keine Regierung dazu bewegt hat, das Löcher buddeln einzustellen und stattdessen Geld aufzutürmen. Neusprech hilft auch nicht immer.

Freizügigkeitsmissbrauch

Innenminister Hans-Peter Friedrich hat mal wieder versucht, eigenmächtig Rechte umzuschreiben, dieses Mal das sogenannte Freizügigkeitsgesetz. Das erlaubt es jedem Bürger der Europäischen Union, seinen Aufenthaltsort in der EU frei zu bestimmen, also dort zu leben, wo er mag. Das ist, nur nebenbei, ein Grundrecht. Friedrich nun würde dieses Grundrecht gern einschränken, fürchtet er doch, dass beispielsweise Rumänen oder Bulgaren nach Deutschland ziehen, um hier Sozialhilfe zu bekommen. Zitat: „Wir müssen die Möglichkeit schaffen, bei Missbrauch des Freizügigkeitsrechts auszuweisen und die Wiedereinreise von Ausgewiesenen zu verwehren.“ Erstens wäre es keine Freizügigkeit mehr, wenn es eingeschränkt wäre, genau deswegen heißt es so. Zweitens kann man Freizügigkeit nicht missbrauchen, eben weil sie jedem frei gewährt wird. Der F., den Friedrich behauptet, ist also ein Paradoxon, er verkauft Krieg als Frieden und betreibt mit einem Wort: Propaganda. Er will Menschen kriminalisieren, die ein allen gewährtes Recht wahrnehmen. „Freizügigkeit heißt nicht, die Freiheit zu haben, nur wegen höherer Sozialleistungen das Land zu wechseln”, sagte der Innenminister. Doch, genau das heißt es.

Wir danken Ferrer für seinen Kommentar und zitieren daraus: “Seit dem Maastrichter Vertrag gelten in der EU die sogenannten vier Freiheiten. Das heißt, es dürfen in der EU vier „Sachen“ frei zwischen den Ländern verkehren, und es lohnt sich, auf die genaue Formulierung zu achten, denn „Sprache bringt es an den Tag“:

– Kapital. Natürlich
– Dienstleistungen. Logisch sie gehen mit dem Kapital Hand in Hand.
– Güter. Selbstverständlich. Keine Zölle, keine Handelshemmnisse.
– Und Arbeitnehmer. Nicht Menschen. ArbeitNEHMER.

Jedes Land kann freizügiger sein, man darf Menschen ins Land lassen, auch wenn sie keinen Arbeitsvertrag vorweisen können. Studenten zum Beispiel. Man darf die Familienzusammenführung mehr oder weniger großzügig auslegen. Aber man darf kein Sozialtourismus (welch abscheuliches Wort!) betreiben. Rumänien und Bulgarien sind obendrein von diesen sogenannten Grundfreiheiten ausgenommen, es gelten Übergangsregeln. Wie sie früher für Polen galten, und davor für Spanien, Griechenland und Portugal.”

Friedrichs sprachlicher Trick übrigens ist mehr als das. Der Innenminister will damit nicht nur martialisch klingen, er will ohne rechtliche Notwendigkeit Gesetze verschärfen – nicht um ein Problem zu beseitigen, sondern allein um Gesetze zu verschärfen. Er sagte: „Die Freizügigkeit umfasst nicht das Recht, Leistungen zu erschleichen.“ Nein, natürlich nicht. Wer sich Leistungen erschleicht, wer also falsche Angaben macht, um Geld vom Staat zu bekommen, der verstößt gegen diverse Gesetze und wird dafür nach allen Regeln der Kunst bestraft. Mit dem Ausdruck F. suggeriert Friedrich, es gebe eine → Schutzlücke. Die gibt es nicht, der behauptete Missbrauch ist ein ganz normaler Gebrauch, der tatsächliche Missbrauch ist selbstverständlich untersagt. Ein schmutziger aber beliebter Kniff in der Politik: Das Verbot von etwas fordern, das längst verboten ist, um → Handlungsfähigkeit zu beweisen.

Mit herzlichem Dank an Detlef W.

No-Spy-Abkommen

Im Rahmen der NSA-Affäre wurde von der Bundesregierung ein N. vorgeschlagen, ein Abkommen zwischen den USA und Deutschland mit dem Versprechen, sich nicht mehr gegenseitig auszuspionieren. Das ist schonmal im Wortsinn Quatsch, da es dann wörtlich ein „kein-Spion-Abkommen“ wäre. Aber es geht beim N. gar nicht um Spione, obwohl die Bezeichnung es suggeriert, sondern um Überwachung. Es müsste also No-Surveillance-Abkommen oder No-Data-Collection-Abkommen heißen, denn es soll ja vereinbart werden – zumindest wurde das von der Bundesregierung suggeriert –, die Überwachung der Bürger des jeweils anderen Landes zu unterlassen. Passenderweise ist auch der Inhalt Blödsinn. Denn im N. soll nur geregelt werden, sich an die Gesetze des jeweils anderen Landes zu halten und sowohl Regierung als auch Wirtschaft des anderen nicht auszuspähen. Von den Bürgern ist dort keine Rede, nur von Terroristen. Die aber können leider überall sein. Und gegen Gesetze verstoßen BND und NSA auch nicht, wenn sie Bewohner des anderen Landes überwachen, denn das ist ihnen als Auslandsgeheimdiensten ausdrücklich erlaubt. Nur im eigenen Inland dürfen sie nicht spionieren, tun sie demnach aber auch nicht. Hinzu kommt, dass sich die Spionagedienste auch weiterhin austauschen dürfen, so dass es für sie gar keine Grenzen gibt. Im Übrigen soll das Abkommen auch noch von den Spionen selbst ausgehandelt werden, die sich sicher nicht allzusehr bemühen werden, ihre Arbeitsplätze zu gefährden. Der bessere Name für das N. wäre daher wohl No-Abkommen.

Wachstumsmotor

Der W. ist eine Doppelmetapher, enthält also zwei Bilder, die noch dazu gar nicht zusammenpassen: Da ist zunächst das Wachstum, gemeint ist das Wirtschaftswachstum. Das ist eine Metapher für die Steigerung des Bruttosozialproduktes, was eine Metapher dafür ist, dass Unternehmen höhere Gewinne erzielen. Es sei ganz selbstverständlich, dass Firmen immer mehr Geld verdienen, so der damit nahegelegte Gedanke. Denn Wachstum ist ein Bild aus der Natur. Dort geschieht es von selbst, solange die entsprechenden Voraussetzungen vorhanden sind, Nährstoffe aufgenommen werden können und ein gewisses Alter nicht überschritten ist. In der Wirtschaft aber ist es kein Gesetz, dass der Gewinn stets steigt und Firmen immer größer werden. Auch wenn das verzweifelt herbeigeredet wird und Wachstum geradezu ein Fetisch ist, dank dessen bereits ein Verlust darin gesehen wird, genauso viel zu verdienen wie im Vorjahr, gern Nullwachstum genannt. Dazu kommt in diesem Kompositum noch ein zweites Sprachbild, der Motor. Wäre die Wirtschaft wie die Natur, bräuchte sie keinen Motor, um zu wachsen, dann geschähe es einfach. Dass sie einen zu brauchen scheint, enttarnt das Wachstum eben als Fetisch, der erzwungen werden muss. Wie ein Motor aussehen kann, damit er beim Wachstum des Gewinns hilft, bleibt unklar. Klar hingegen ist der Eindruck, den der W. erzeugt: Ein Genug gibt es nicht, der Gewinn von Unternehmen muss gefördert werden, womit auch immer.