Spurensicherung, digitale

In phantastischen Büchern und Filmen treiben sich gern Untote herum. Sie sollen dort schaurig-schönen Grusel verbreiten. Es gibt solche Untoten wirklich und schön ist daran gar nichts, denn sie existieren vor allem in der Politik. Obwohl längst beerdigt geglaubt, fallen sie als immer wiederkehrende gefährliche Ideen den Menschen zur Last. Und leider sollen sie dort auch nicht unterhalten, sondern die Wähler vor allem durcheinander bringen, damit diese nicht merken, dass sie verschaukelt werden.

Die → Vorratsdatenspeicherung ist so ein Zombie. Sie ist schon viele politische Tode gestorben: Das Bundesverfassungsgericht hat sie verboten, genau wie Gerichte in verschiedenen anderen Ländern, ja gar der Europäische Gerichtshof. Doch sie kehrt immer wieder. Viele Menschen lehnen sie ab, sie wollen nicht, dass alle ihre digitalen Handlungen ohne Grund gespeichert werden. Trotzdem äußern Politiker diese Forderung immer wieder und ihre gesamte Kreativität beschränkt sich dabei darauf, dem immer gleichen Konzept neue Namen zu geben.

Der Ausdruck → Vorratsdatenspeicherung, der fürsorglich klingen sollte, war dabei nur der Anfang. Als → Mindestspeicherfrist wurde diese Beschneidung von Grundrechten bezeichnet, als → Mindestdatenspeicherung, auch als → Mindestspeicherdauer – ein Wort übrigens, für das das Innenministerium bereits 2011 einen Neusprech-Award bekam. Gerade erst hat der Justizminister diese Überwachungspläne als → Speicherpflicht und Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten wiederbelebt. Er hat damit aus der Mindestspeicherung eine Höchstspeicherung gemacht und nahe gelegt, dass alle geradezu verpflichtet sind, diese Daten zu sammeln. Das ist schon ein erstaunlicher Sprachtrick, um die Menschen zu verwirren. Besser ist in dieser Disziplin nur noch die CSU.

Sie benannte das Konzept zum Beispiel in  private Vorsorgespeicherung um und glaubte, so den Wählern ihre Totalüberwachung verkaufen zu können. Der Gipfel aber war ihr Versuch, diese Pläne als digitale S. zu vermarkten.

Das klingt harmlos, weil nichts mehr an die monatelange Datenhortung erinnert und weil die Sicherung von Spuren etwas ist, auf das sicher niemand verzichten will, wenn es darum geht, ein Verbrechen aufzuklären. Doch es ist nur der erneute Versuch, Wähler zu belügen, um ihnen etwas unterzujubeln, das sie ablehnen. Denn eine Lüge ist die digitale S. Es geht hier nicht um die Spuren, die Verbrecher bei einer konkreten Tat hinterlassen haben. Es geht nicht darum, Fingerabdrücke zu sichern, nachdem ein Verbrechen begangen wurde. Es geht darum, die kommunikativen Fingerabdrücke aller Deutschen anlasslos zu speichern, in der Hoffnung, damit ein paar Kriminelle leichter identifizieren zu können. Es geht also weiterhin um einen Generalverdacht, es geht darum, dass es bei dieser Idee keine Unschuldigen mehr gibt und darum, dass damit gleich mehrere Grundrechte verletzt werden.

Es gibt keinen Grund, allen zu misstrauen. Und es gibt schon gar keine Pflicht, eine ganze Gesellschaft zu verdächtigen. Es wäre besser, das Verbotene endlich dort zu belassen, wo es diverse Richter beerdigt haben: auf dem Ideenfriedhof der Grundrechtsgegner und Überwachungsfanatiker. Um daran zu erinnern, dass Zombies ins Reich der Phantasie gehören und nicht in die Politik, erhält die digitale S. bei den BigBrotherAwards 2015 einen Neusprech-Award.

Distanzbereich, Distanzzone

Ausdruck aus der Psychologie, der Medizin und der Kulturwissenschaft: Der D. beschreibt den Bereich, den Menschen um den eigenen Körper herum als mehr oder weniger intim empfinden, beziehungsweise die Strecke, auf die Menschen sich ihre Mitmenschen in der Regel vom Leibe halten wollen. Schon diese Wortschöpfung ist pleonastisch, denn Distanz (die deutsche Lehnübersetzung ist ‚Abstand‘), impliziert bereits das Konzept des Bereichs.

Neuerdings wurde der D. von „Ordnungshütern“ entdeckt, als Ersatz für das alte Wort Bannmeile oder Bannkreis. Die bezeichnet das Gebiet um ein Parlament oder ein Gericht, in dem zu bestimmten Zeiten Grundrechte eingeschränkt werden, weil zum Beispiel keine Versammlungen abgehalten werden dürfen. Natürlich macht es sich in einer Demokratie schlecht, wenn außer dem Parlament und dem Verfassungsgericht weitere Gebäude durch eine Bannmeile geschützt werden sollen, zum Beispiel gar eine Bank. Ein Ersatzwort wirkt da besser, noch dazu wenn es so freundlich daher kommt wie D. Der Euphemismus verschleiert hier aber noch mehr, denn in diesem Bereich waren die Bürgerrechte nicht nur eingeschränkt. Der D. um die EZB-Zentrale in Frankfurt war vollständig gesperrt, zum Teil mit Stacheldraht. Daher wäre es ehrlicher gewesen, gleich von Sperrgebiet oder Sperrzone zu sprechen. Vgl. Sicherheitszone

Willkommenszentrum

Wortschöpfung von Innenminister Thomas de Maizère, der damit einen Vorschlag aufgriff, den Otto Schily in dieser Funktion bereits 2004 gemacht hatte. Gemeint ist ein vorgeschobenes Auffanglager, um Menschen, die nach Europa wollen, bereits auf afrikanischem Boden sammeln und sortieren zu können. Die Argumentation lautet, dass deren lebensgefährliche Fahrt über das Mittelmeer verhindert werden könne, wenn bereits auf afrikanischem Territorium über Asylanträge entschieden würde. Suggeriert, dass diese Menschen in Europa willkommen geheißen, also freundlich und mit offenen Armen empfangen werden sollen. Es geht jedoch im Gegenteil darum, ihre Einreise zu verhindern und sie zu stoppen, noch bevor sie Europa erreichen. Das Problem soll, auch um Kosten zu sparen, in die Herkunftsländer verlagert werden und ist also eine andere Form der Pushback-Doktrin, die mit diesem Ausdruck kaschiert werden soll. Das Willkommen im Begriff W. erinnert daher leider mehr an William Shakespeares Drama „Macbeth“, in dem Lady Macbeth sagt:

„Laß deine Mienen aussehn, wie die Zeit es heischet, trage freundlichen Willkommen auf deinen Lippen, deiner Hand! Sieh aus, wie die unschuld’ge Blume, aber sei die Schlange unter ihr!“

Verteidigungs- und Sicherheitsindustrie

Anderer Ausdruck für Waffenhersteller, daher ein Euphemismus. Dazu ein Zitat aus dem Buch „Das Hohe Haus“ von Roger Willemsen, in dem er beschreibt, was und wie im Bundestag debattiert wird:

„Heute steht Deutschland bei den internationalen Rüstungsexporten an dritter Stelle, und man kann sich von außen kaum vorstellen, wie schlicht die Argumentation ist, die das rechtfertigt. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU) sagt: ,Ich halte dies alles überhaupt nicht für verwerflich. Ganz im Gegenteil: Ich bin stolz auf das, was die 80.000 hochqualifizierten Arbeitskräfte, die in der Verteidigungs- und Sicherheitsindustrie in Deutschland unmittelbar beschäftigt sind, zustande bringen.‘

Offenbar kann die Rüstungsindustrie nicht als das benannt werden, was sie ist, sondern sie zieht Beschönigungen an, die sie zur moralischen Feuerwehr stilisieren durch Rennen, Retten, Löschen: ,Diese Rüstungsexporte tragen nämlich auch zur Friedenssicherung und zum Schutz der Menschenrechte auf dieser Welt bei.‘ Das ist der Pegelstand parlamentarischer Schamlosigkeit: Dass Rüstungsexporte der Erhaltung der Menschenrechte dienen sollen, bestätigt jeden, der dem Parlament Skrupellosigkeit in Rüstungsfragen vorwirft. (…) Der entlarvenden Debatte, die mit unverhohlen heuchlerischen Argumenten geführt wird, stellt sich auch heute kein Mitglied der Bundesregierung. Den Rest des Schweigens sichern Geheimhaltungsauflagen.“

Ja, die Bundesbehörden helfen der Industrie sogar dabei, Informationen über exportierte Waffen zu verschleiern.

Siehe auch → Sicherheitsforschung, → Sicherheitszone.

Routineverkehr

Der R. klingt nach langweiligem Sex und soll das auch, denn er ist eine Wortschöpfung des Bundesnachrichtendienstes, um Überwachung zu verharmlosen, also ein Euphemismus. Wir müssen dazu kurz ausholen: Das Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses, kurz (Grundgesetz-)Artikel-10-Gesetz oder noch kürzer G 10, erlaubt es dem BND, im Ausland Kommunikation zu überwachen, so viel er will. Jede Leitung, die Deutschland verlässt oder die an der deutschen Grenze ankommt, darf er abhören, rund um die Uhr. Zwei Beschränkungen gibt es dabei: Erstens dürfen die Spione nur „20 vom Hundert“ der Übertragungskapazität abschnorcheln. OK, niemand weiß, wie viel sie dabei wirklich mitschneiden, denn wenn die Leitung theoretisch 100 Gigabyte pro Sekunde hereinspülen könnte, aber gerade nur 20 Gigabyte genutzt werden, dann würde der BND die ja komplett … aber lassen wir das.

Zweitens muss der BND, wenn er in den Inhalten der Kommunikation stöbert, vorher eine Kommission des Bundestages um Erlaubnis fragen und ihr erklären, was er da sucht. Diese G-10-Komission besteht praktischerweise aus alten Juristen und nicht aus jungen Technikern und darf niemandem sagen, was sie weiß und tut. Aber auch darum soll es hier gerade nicht gehen. Denn wenn der BND nicht nach Inhalten sucht, wenn er sich also nicht dafür interessiert, was die Leute da so reden, sondern nur wann, mit wem, wie lange und so weiter, dann gibt es keine Beschränkungen.

Wenn er also „nur Metadaten“ heruntersaugt, darf er das so viel er will und kann. Zur Erinnerung: Der ehemalige Chef des US-Geheimdienstes NSA sagte mal, „we kill people based on metadata“. Das Zeug ist also nicht harmlos, im Gegenteil. Man kann damit mehr über einen Menschen erfahren, als er selbst über sich weiß. Gerade deswegen bemüht sich der BND, es harmlos erscheinen zu lassen und nennt die so abgesaugten Informationen im Bundestag stets R. Ganz falsch ist es nicht, da es für den BND längst Routine ist, jeden Tag Millionen dieser Metadaten einzusammeln.

Nicht nur aus Sicht des früheren Bundesdatenschutzbeauftragten Peter Schaar ist das Vorgehen allerdings absurd. Er sagte im Bundestag dazu: „Der Begriff Routineverkehr ist nicht legal definiert. Das G-10-Gesetz spricht von internationalem Datenverkehr [Anmerkung: wörtlich von Telekommunikationsbeziehungen]. Ich würde daher immer sagen, dass es alles Daten sind, die von unserem Grundgesetz geschützt sind, ob sie nun als Routinedaten bezeichnet werden oder anders.“ Schließlich könne man auch nicht einfach ein Auto in „fahrbare Technik“ umbenennen und hoffen, dass es dann nicht mehr unter die Straßenverkehrsordnung falle. Doch, genau das hofft der BND.