Geldgeber

Geben ist eine einseitige Handlung, sie erwartet keine Gegenleistung, zumindest keine materielle. Nicht umsonst steht in der Apostelgeschichte der Bibel: „Geben ist seliger denn Nehmen.“ Alles, was der Geber erhält, ist die Freude daran, einem anderen geholfen zu haben. Der oder die G. jedoch geben sich mit dieser Freude nicht zufrieden. Sie geben ihr Geld nur an arme Regierungen her, wenn sie anschließend dafür noch mehr Geld von ihnen zurückbekommen – als Zinsen. Sie geben das Geld also nicht, sie verleihen es in Form von Krediten. G. ist ein Euphemismus, eine Beschönigung, die andeuten soll, dass hier jemand beschenkt wird. Dabei bekommt der bereits heftig verschuldete Nehmer in dieser Beziehung nur neue Schulden. Der Ausdruck wird sicher oft aus Gedankenlosigkeit verwendet – weil ein Synonym für „Bank“ gesucht ist oder ein Sammelbegriff für all die Organisationen und Gruppen, die an den Problemen in Griechenland beteiligt sind. Doch damit entsteht eine hinterhältige Verschleierung. Sie verbirgt nicht nur die Kredite, sondern auch die Namen derjenigen, die von diesen Krediten profitieren. Das lässt sich sogar noch steigern. Kapitalgeber entfernt sich mit dem Synonym für Vermögen noch ein Stück weiter von der wahren Handlung und der Tatsache, dass es hier ums Geldverdienen geht. Siehe auch → Geld, frisches und → Rekapitalisierung.

Mit herzlichem Dank an Frerk M.

Staatswohl

Vermutlich handelt es sich bei S. um eine Lehnübersetzung des französischen salut public (eigentlich: ‚öffentliches Wohl‘). Im Namen dieses Staatswohls kam es in der Folge der französischen Revolution zum so genannten Terreur, dem Namensgeber von Terror und Terrorismus. Ein Wohlfahrtsausschuss, das Comité du salut public, versuchte damals, die revolutionären Tugenden ohne Ansehen der Person mit der Guillotine durchzusetzen. Trotz dieser unrühmlichen Vorgeschichte schaffte es das Konzept bis in die aktuelle Politik. Allerdings wurde es auf dem Weg dorthin heftig umgedeutet. Aus dem Wohl der Öffentlichkeit, also aller Menschen, wurde das Wohl des Staates, also einiger weniger. Das S. wird heute immer dann hervorgeholt, wenn es darum geht, Bürgerrechte zu beseitigen. Die wurden ins Grundgesetz geschrieben, damit das Gewaltmonopol des Staates Grenzen bekommt und damit der einzelne und somit gegenüber dem Staat ohnmächtige Bürger sich zumindest ein wenig wehren kann. Das wollen viele Regierungen so jedoch nicht hinnehmen und bemühen dazu die abstrakte Idee des S. Sie erheben den leblosen Staat zu einem lebendigen Wesen, dessen Wohlergehen gefälligst allen am Herzen zu liegen habe. Beispielsweise um die Überwachung durch die NSA und den Bundesnachrichtendienst zu rechtfertigen. Gleichzeitig verbietet das S. praktischerweise, dieser Überwachung etwas entgegen zu setzen, ja sogar: die genauen Umstände der Überwachung aufzuklären und öffentlich zu debattieren. Denn der Begriff ist so wunderbar schwammig und undefiniert, dass letztlich alles das S. gefährden kann. Damit knüpfen jene, die das S. als Argument gegen Bürgerrechte anbringen, direkt an die unrühmliche Tradition der französischen Revolution an: Das Wohlergehen des Staates (und seiner Diener) steht über der individuellen Freiheit der Bürger. Siehe auch → Balance (von Sicherheit und Freiheit).

Balance (von Sicherheit und Freiheit)

Von der Bundeskanzlerin über die gesamte Bundesregierung bis hin zur SPD erfreut sich die B. seit Jahren bei all jenen großer Beliebtheit, die mehr Überwachung rechtfertigen wollen. Immer, wenn es darum geht, Bürgern wieder einige ihrer Grundrechte wegzunehmen, wird die B. (von Sicherheit und Freiheit) bemüht. Sie soll denen eine Beißhemmung verpassen, die eben solche ihnen verfassungsmäßig garantierten Rechte einfordern. Und sie soll all die Zaghaften und Zweifelnden, die sich nicht sicher sind, ob die Bespitzelung aller Bürger nicht vielleicht doch zu irgendetwas gut ist, dazu überreden, ihre Freiheit klaglos aufzugeben.

Wer von dem einen mehr will, heißt das sprachliche Bild der B., der nimmt dem anderen etwas weg. Wer Freiheit fordere, mache das Leben aller unsicherer, ja gefährlicher. Wer Sicherheit wolle, der müsse eben ein paar Freiheiten opfern. Doch es gibt diese Balance nicht, da die beiden Ideen nichts miteinander zu tun haben. Sie sind eben nicht die zwei Enden einer Wippe. Das Gegenteil von Sicherheit ist Unsicherheit. Das Gegenteil von Freiheit ist Unfreiheit.

Die Behauptung, es gäbe und brauche irgendeine B. (von Sicherheit und Freiheit), ist eine Lüge. Mehr Überwachung macht garantiert unfrei, ob sie sicher macht, ist unbewiesen. Es gibt vielmehr Indizien dafür, dass eine überwachte Gesellschaft alle verunsichert, denn Überwachung schürt gegenseitiges Misstrauen und Angst.

Deutschland ist eines der sichersten Länder der Erde. Menschen sterben hier, weil sie zu viel essen und sich zu wenig bewegen. Menschen werden hier vor allem von jenen umgebracht, die zu schnell Auto fahren. Sie sterben nicht, weil irgendjemand Bomben zündet oder um sich schießt. Trotzdem wird jedes neue Überwachungsgesetz damit gerechtfertigt, dass nur so, nur durch diese Beschneidung von Freiheitsrechten, das Leben sicherer gemacht werden könne. Tempolimits und mehr Geld für Turnhallen und Sportvereine würden hundert Mal mehr Menschenleben retten als jedes Überwachungsgesetz.

Die Lüge von der B. hat nur eine Funktion: Sie soll die Menschen diskreditieren, die sich gegen Überwachung wehren und Freiheit verteidigen. Denn sie, so die darin verborgene Botschaft, würden irgendetwas aus dem Gleichgewicht bringen. Dabei sind es die Befürworter von flächendeckender Datenspeicherung, von Mautbrückenüberwachung und Festplattenausspähung, die die Balance zerstören – die Balance zwischen bürgerlichen Abwehrrechten und staatlicher Gewalt, die im Grundgesetz verankert ist. Siehe z. B. auch grundrechtsschonend.

Videoschutz

Der Tierschutz schützt die Tiere, der Jugendschutz die Jugend, der Verfassungsschutz die Verfassung (zumindest soll er das). Der V., der schützt dann natürlich die … Moment. Vielleicht fangen wir noch einmal an. Hier, mit dem Zitat von Innenminister Hans-Peter Friedrich: “Wir sind uns einig, dass wir vor allem im Bereich der Bahnhöfe als besonders neuralgischen Punkten der Videoschutz verstärkt werden muss.” Gemeint ist mit diesem etwas verunglückten Satz natürlich Videoüberwachung – die in erster Linie nach Überwachung klingt und damit nicht sehr heimelig. Der V. ist also ein Euphemismus, eine beschönigende Umschreibung. Aber das ist leider noch nicht alles. Denn Videoüberwachung taugt lediglich dazu, dank eventuell vorhandener Bilder die Täter schneller zu ermitteln – hinterher, nachdem etwas passiert ist. Etwas verhindern, also schützen, können Videokameras nicht. Der Innenminister verspricht mit dem V. etwas, das weder eine Videokamera noch ein Innenminister halten kann. Man darf deswegen wohl auch sagen: Er lügt. Und dabei hat der Wahlkampf noch gar nicht begonnen.

Mit herzlichem Dank an Martin H., dem der Begriff aufgefallen war.

Den festen Glauben an einen V. gibt es beispielsweise in Fulda (Dank an Maximilian P.), außerdem in Elmshorn, Aachen und sogar seit 2007 schon Bochum (dank an Fefe).

Ursprünglich veröffentlicht im Mai 2013. Update Juli 2015

Neusprechfunk 6, der Ziercke-Gedächtnis-Podcast

Im Namen der Meinungsfreiheit haben wir uns wieder zu einem Neusprechfunk, diesmal Nummer 6, zusammengefunden, verehrte Leser und Hörer. Der Preis beim versprochenen Gewinnspiel wurde live in der Sendung vergeben, denn wir hatten so etwas wie eine interaktive Komponente.

Die Gewinnerin heißt Melinda, die gleichzeitig die Regeln für die neue Gewinnspielaufgabe erdacht hat. Wer mitmachen will: Die Aufgabe und ebenjene Regeln finden sich natürlich im Podcast.

passentzug

Die verwendete Sprache und der Nachrichtenwert von Zeitungsartikeln war uns wieder so manches Kopfschütteln wert. Denn wenn wir unbelegte Behauptungen entdecken, beispielsweise etwas sei äußerst wirkungsvoll oder hätte enorme präventive Wirkung, werden wir aufmerksam.

staatsangehoerigkeit

Einige der Inhalte der betrachteten Artikel waren bei uns schon häufiger Thema: Die Terroristen haben uns wieder beschäftigt, auch die minderjährigen mit Kampferfahrung unter ihnen, von denen der Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz und oberster Spionageabwehragent, Hans-Georg Maaßen, zu berichten weiß.

13 jahre

Wir streiften bei der Gelegenheit auch den Salafismus, dessen Anhänger nach Angaben der Behörden zunehmen.

pass entziehen

Heike Schmoll, Redakteurin im FAZ-Politikteil, hatte in ihrem Stück mit dem Titel „Union: Islamisten den Pass entziehen“ (FAZ vom 22. September 2014, Seite 1) neben der Berichterstattung über die Äußerungen von Geheimdienstler Maaßen auch den innenpolitischen Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Stephan Mayer (CSU), zur Idee des Passentzugs befragt. Denn das und der Ersatz-Personalausweis werden als Maßnahmen verkauft, die den Terroristen Einhalt gebieten sollen, obwohl es natürlich hundertprozentige Sicherheit nicht geben kann (Ziercke).

Ein gewisser Schwerpunkt des Neusprechfunk 6 (mp3) ist die Analyse von Interviews mit ebenjenem Jörg Ziercke, beispielsweise in der Zeitschrift Kriminalistik (Nr. 12 von Dezember 2014, Seite 724, nur als Abstract online) und in der „Welt“ (21. Juni 2006, Seite 3, nicht online). Wir lernen dort beispielsweise, dass Extremisten im Internet die Wortführer sind.

In den verschiedenen Interviews (unten verlinkt), die wir besprochen haben, macht Ziercke Angaben darüber, wie die Anzahl der vereitelten Anschläge und Ermittlungsverfahren bei „islamistischem Terrorismus“ immerfort wächst und „Kryptierung“ alltäglich wird. Kai erklärt bei der Gelegenheit seine Theorie der rosa Elefanten.

Wir wenden uns auch in anderem Zusammenhang der Politikersprache zu: Am 10. November 2014 schrieb Edo Reents, Literaturredakteur und nun Nachfolger von Nils Minkmar, in der FAZ unter dem Titel „Mit Verlaub“ über die Kultur der parlamentarischen Beleidigung.

parlamentarische beleidigung

Am Beispiel von Liedermacher Wolf „Drachentöter“ Biermann, der zum 25. Jubiläum des Mauerfalls in den Bundestag eingeladen war und dabei die Linkspartei als Reste der Drachenbrut beschimpfte, diskutieren wir ein paar Invektiven vergangener Legislaturperioden. Herbert Wehner wird als Beispiel herangezogen, aber es finden sich recht viele weitere Beispiele. Unter den Favoriten ist sicher Heiner Geißlers größte parlamentarische Haubitze aller Zeiten für Wehner.

JW-logo

Angesichts des Mauerfalljubiläums haben wir auch noch einen Blick in eine alte Junge Welt (vom 5. September 1989, Einzelpreis: zehn DDR-Pfennig) geworfen. Der Sprecher des DDR-Außenministeriums, Genosse Wolfgang Meyer, schimpft darin auf die „illegalen Grenzübertritte via UVR“ (also Ungarn), die nach Beginn der Demontage der Sperranlagen im Mai 1989 und insbesondere in den DDR-Sommerferien im Juli zugenommen hatten. Der Artikel wurde seinerzeit auch in der DDR-Nachrichtensendung Aktuelle Kamera verlesen.

hetzkampagne

Von der zügellosen Hetzkampagne kommen wir zur Angstkampagne, die Klaus-Dieter Frankenberger von der FAZ ausgemacht hat.

frankenberger

Wir widmen uns außerdem Willy Brandt und der ihm zugeschriebenen Phrase Es wächst zusammen, was zusammengehört. Der Text von Günter Bannas im Politikteil der FAZ (13. Oktober 2014, Seite 3) hat den wunderbaren Titel In der Erinnerung zusammengewachsen und beschäftigt sich mit einem Buch des Dietz-Verlages, in dem Reden Willy Brandts zusammengetragen werden sollten, wobei auffiel, dass Brandts berühmtes Zitat so gar nicht gefallen war.

zusammenwachsen

Wir haben außerdem – neben zu internierenden oder zu verwahrenden Fast-Gefährdern – gesprochen über:

  • den schon erwähnten und nun in den Ruhestand verabschiedeten Jörg Ziercke und den vom ihm über viele Jahre hinweg gefürchteten rechtsfreien Raum Internet. Die Interviewquellen legen wir hiermit offen, sofern sie online sind: Cicero (pdf, Oktober 2014, Seite 68), Tagesspiegel (vom 6. September 2010, Seite 4) und Focus (vom 4. September 2006, Seite 42),
  • die Lügenpresse und die Wächterfunktion von Journalisten,
  • „Predictive Policing“, also Computer-Prognosen über zukünftige Straftaten, die unter dem Begriff Precobs durch die Presse gingen,
  • die Besitzstandspopulisten.

Neusprechfunk 6 als mp3. Alternativ: ogg-Version von Neusprechfunk 6.

Vermutlich haben wir das letzte Mal das Equipment von Frank und Fefe genutzt, wollen aber nicht vergessen, uns dafür herzlich zu bedanken! :}

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